Was Google nicht weiß: "Reden wir über Fotografie" von Hans-Michael Koetzle

Alexey Brodovitch, René Burri, Henri Cartier-Bresson, William Eggleston, Ernst Haas, Fred Herzog, André Kertész, Saul Leiter, Martin Parr, Wim Wenders sind nur einige der Namen, die in diesem Buch zu finden sind. Hans-Michael Koetzle hat mit diesen und vielen anderen Wegbereitern über vier Jahrzehnte Interviews geführt. Wobei Interviews eigentlich das falsche Wort ist, Gespräche wäre treffender. Im Kehrer Verlag sind nun 33 dieser Begegnungen zusammengefasst und wurde von Herausgeber und Autor vor wunderbaren Fotos von Ernst Haas im Westlicht präsentiert.

Reden wir über Fotografie” ist ein Destillat aus unzähligen Begegnungen, die Koetzle akribisch notiert und zu einem ganz wunderbaren Geflecht aus Bezügen und Entwicklungen zusammengefügt hat. Als studierter Germanist dauerte es allerdings eine Weile, bis der Autor merkte, dass ihn die Interpretation von Bildern noch mehr interessierte als die von Texten. Sein Fokus endet jedoch nicht am Bildrand, sondern betrachtet immer auch die Interaktion der Fotografien mit dem umgebenden Design, dem Layout und der Typografie. Insofern achtete er bei Fotoausstellungen auch penibel auf Hängung, Wandfarbe, Bildunterschriften etc.

Nicht nur die ganz großen Namen finden sich im Buch, auch Fotograf*innen aus der zweiten Reihe sind vertreten, denn ihre Arbeiten sind oft qualitativ mit denen der bekannten vergleichbar. Networking, Seilschaften und Marketing waren schon in der Vergangenheit wichtig für die "Sichtbarkeit".

Buchpräsentation "Reden wir über Fotografie" von Hans-Michael Koetzle, Westlicht, Wien

Buchpräsentation "Reden wir über Fotografie" von Hans-Michael Koetzle, Westlicht, Wien

Bei der kurzweiligen Buchpräsentation im Wiener Westlicht sprudelt Hans-Michael Koetzle nur so vor Ideen. Er selbst sieht sich als jemand, der mit einem Bauchladen vor sich herläuft und versucht, andere (Museen oder Universitäten) davon zu überzeugen, mit ihm ein Projekt zu machen. Er hält diese Ideen aber nicht geheim und hat mehrfach Bereiche genannt, in denen dringend weiter geforscht werden muss. Sonst stirbt dieses Wissen mit seinen Protagonisten der letzten Jahrzehnte langsam aber sicher aus. Das Besondere an der "Methode Koetzle", wie sie Herausgeber Andreas J. Hirsch nennt, ist die gelungene Art der Interviews und die akribische Recherche davor und danach. Vieles davon findet man nicht im Internet, sondern nur durch aussterbende Techniken wie Telefonieren, Flohmärkte besuchen, Antiquariate durchstöbern und ein Netzwerk aufbauen, das einem Gelegenheiten bietet.

Kein Wunder also, dass sich das Buch ausschließlich um analoge Fotografie dreht - und das hat mit den großen und kleinen Archiven zu tun, die Koetzle aufgespürt hat. Wie wird eine solche Forschung in den nächsten Jahrzehnten aussehen, wenn Archive nur noch digital existieren und gelöscht werden, wenn man die monatliche Gebühr für den Cloud-Speicher nicht mehr bezahlt?

Meine eigene Rezension des Buches wird demnächst wie immer auf Janetts Meinung erscheinen.

PS: Inzwischen kennt Google wohl auch die Inhalte dieses Buches…

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