Tausche 9kg Margarine gegen Rolleiflex - Ernst Haas "The Art of Seeing" im Westlicht

Ernst Haas (1921 Wien – 1986, New York) als österreichisch-amerikanischer Fotojournalist und Fotokünstler erreichte zwei Premieren: Zum einen zeigte das Life Magazine erstmalig eine Fotostrecke von ihm in Farbe und zum zweiten war er der erste Fotograf, der im Museum of Modern Art in New York eine Einzelausstellung in Farbe erhielt. Die aktuelle Ausstellung “Ernst Haas - The Art of Seeing” im Westlicht widmet dem Künstler eine Ausstellung mit Werken aus allen Schaffensperioden.

Dabei wäre es fast ganz anderes gekommen: Sein Vater versuchte immer wieder ihn für die Fotografie zu interessieren, was ihm allerdings nie gelang. Erst nach dem Tod des Vaters nutzt Haas die Dunkelkammer um Familiennegative zu drucken. Er begann sich mit dem Thema zu beschäftigen, obwohl er Autodidakt war. Der sich anbahnende zweite Weltkrieg führte dazu, dass er auf grund seiner jüdischen Abstammung seine Ausbildungen immer wieder abbrechen musste. Auf dem Wiener Schwarzmarkt tauscht er schließlich 9 kg Margarine gegen eine Rolleiflex ein.

Ausstellungsansicht Ernst Haas “The Art of Seeing”, Westlicht, 2022

Auf der Suche nach einer Location für ein Modeshooting mit Inge Morath kam er am Südbahnhof vorbei, an dem gerade Kriegsheimkehrer aus einem Zug stiegen. Seine dort entstandene Serie "Kriegsheimkehrer" zeigt allerdings nicht die Heimkehrer, sondern die Frauen und Daheimgebliebenen, die nun im emotionalen Ausnahmezustand hoffnungsvoll die Gesichter der Ankömmlinge absuchen. Ganz ohne fotojournalistische Praxis schuf Haas beeindruckende Fotos der dortigen Szenen. Später dokumentiert er die Skurrilität des Alltagslebens in Wien nach dem Zweiten Weltkrieg, das von zerbombten Häuserblöcken und Invaliden geprägt ist.

Ausstellungsansicht Ernst Haas “The Art of Seeing”, Westlicht, 2022

Ausstellungsansicht Ernst Haas “The Art of Seeing”, Westlicht, 2022

Early Color Photography

Von Anfang an reizt Ernst Haas am Medium Fotografie aber nicht die fotojournalistische Dokumentation der Realität, sondern die Möglichkeiten diese wie ein Maler einzusetzen, um abstrakte Ergebnisse zu erhalten.

Die damalig verfügbaren Farbfilme hatten nur leider eine Empfindlichkeit von ASA 10. Damit waren Belichtungen von in etwa 1/8 Sekunden möglich, was für die meisten Anwendungen viel zu lang war. Ernst Haas machten aus der Not eine Tugend und setzten die lange Belichtungszeit gekonnt als Stilmittel ein - was auch gut zum schnellen Treiben von New Yorks Verkehr passte. Eine weitere Serie von ihm zeigt halb abgerissene Plakatfetzen, die im Ergebnis wie ein abstraktes Gemälde wirken.

AusstellungsDURCHsicht Ernst Haas “The Art of Seeing”, Westlicht, 2022

Allerdings konnte man mit Farbfilm nicht einfach genauso fotografieren wie mit Schwarz-Weiß-Film: Durch die Farbe kommt eine zusätzliche neue Ebene dazu. Noch dazu eine ganz spezielle, da die frühen Kodachrome Filme Rottöne besonders stark wiedergaben. Nicht umsonst ist bei vielen frühen (kommerziellen) Farbaufnahmen ganz bewusst ein rotes Hemd oder ein roter Schal im Bild...

Entschleunigung nicht möglich…

Gezogene Ausstellungsansicht Ernst Haas “The Art of Seeing”, Westlicht, 2022

Eines meiner Lieblingsbilder von ihm ist “Traffic, New York 1963” (oben rechts). Ernst Haas unterstützt in dem Bild die Geschwindigkeit des Lebens in New York noch durch zusätzliches Mitziehen der Kamera. Ich habe vor Ort mit meiner Kamera in die Gegenrichtung gezogen - konnte den Effekt damit jedoch nicht “aufheben” ;)

Original Magazine zeigen die großformatige Darstellung seiner Serie , Ernst Haas “The Art of Seeing”, Westlicht, 2022

Kurator Fabian Knierim und Kunstvermittlerin Eva Mühlbacher vom Westlicht Team führten wie immer mit spannenden Geschichten (und expressiven Gesten) durch die Ausstellung.

Fabian Knierim, Eva Mühlbacher und Ausstellungsansicht Ernst Haas “The Art of Seeing”, Westlicht, 2022

Fabian Knierim erläutert Ernst Haas “The Art of Seeing”, Westlicht, 2022

Fabian Knierim, Eva Mühlbacher und Ausstellungsansicht Ernst Haas “The Art of Seeing”, Westlicht, 2022

Fabian Knierim und Originalausgaben von LIFE und Werbeanzeigen, Ernst Haas “The Art of Seeing”, Westlicht, 2022

Ernst Haas “The Art of Seeing” im Westlicht ist noch bis zum 12.02.2023 zu sehen.

Die folgenden Beiträgen sind ebenfalls interessant: